[fblike]Als das damals größte Schiff der Welt am 15. April 1912 versank, wurde auch ein Stück Mennnonitengeschichte geschrieben
Am 15. April 2012 feierte die mennonitische Kirche in Balley, Hereford, Pennsylvania, ein besonderes Jubiläum. An diesem Tag vor genau 100 Jahren kollidierte die Titanic mit einem Eisberg und verschwand in den Fluten. Aber was haben Mennoniten mit dieser schlimmen Katastrophe zu tun? Mehr als man glaubt.
Mit der Schiffsuntergang – die Titanic liegt noch immer in dreitausend Meter Tiefe im eiskalten Ozean – ist viel Geld verdient worden. Am meisten hat der Filmregisseur James Cameron eingeheimst. (Drehte später die „Avatar“-Filme.) Was haben wir geheult, als Kate Winslet und Leonardo di Carpio im bitterkalten Wasser voneinander Abschied nahmen. Sie wussten nicht, dass es endgültig war – aber wir. Geschichten erzählen, das kann Hollywood. Und auch diese Love Story ist wie so viele der Phantasie entsprungen.
Dabei hält das wahre Leben viel spannendere Geschichten parat. Auch auf der Titanic spielten sich Szenen ab, die sich keiner ausdenken kann.
Nehmen wir die Geschichte von Annie Funk. Der Name spricht Bände – eine Mennonitin. Annie wuchs in Bally auf, jenem 1000-Ennwohner-Dorf im „Butter“-Tal in Pennsylvania. Butter-Tal, weil es in der Gegend jede Menge Molkereien gib. Der Vater von Annie hatte eine Mühle und war Diakon in der Mennonitengemeinde. Die Landwirtschaft prägte dort das Leben und tut es wohl immer noch – und eigentlich war die Zukunft von Annie schon vorherbestimmt.
Erste Erfahrungen im Ghetto von Chattanooga
Aber die junge Frau hatte andere Vorstellungen von ihrer Zukunft und setzte diese auch um. Sie wollte Missionarin werden. Zunächst besuchte sie einen Lehrerkursus und anschließend eine Schule des Erweckungspredigers Moody für junge Frauen, die in den christlichen Dienst gehen wollten. Danach sammelte Annie erste Erfahrungen in der sündigen Welt. Sie arbeitete, steht es in Wikipedia, in den Ghettos von Chattanooga und Paterson. In ihren Träumen war sie aber immer auf der anderen Seite der Welt als Missionarin tätig.
Und dann erfolgte endlich der Ruf von oben, auf den sie so lange gewartet hatte. Mennonitische Missionare in Indien suchten eine junge unverheiratete Frau, die dort als Lehrerin arbeiten sollte. Bevor sie die Reise antrat, sagte sie einem Freund, der Angst um ihr Leben hatte: “ Unser himmlischer Vater ist immer in meiner Nähe, auf dem Land und auf dem Meer. Ich habe keine Angst. Und so wurde sie die erste mennonitische Missionarin. Unsere Mutter Anni.
Gründung einer Mädchenschule
Sie arbeitete einige Jahre in Janjgir-Champa, Indien. 1907 gründete sie eine Mädchenschule. Es existiert ein Foto, wo sie auf einem Fahrrad zur Schule fuhr. Um die Kinder zu verstehen, lernte sie Hindi. Im März 1912 erhielt sie ein Telegramm, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihre Mutter schwer krank war. Für Annie Funk war klar, dass sie nach Hause fahren musste. Sie nahm den Zug nach Bombay und kaufte eine Passage für das Schiff „Persian“, mit dem sie bis Marseille in Frankreich gelang. Per Zug und Schiff kam sie dann nach Liverpool.
Und dann schlug das Schicksal zu. Oder sollten wir es göttliche Fügung nennen, das gerade ein Kohlenstreik war und die „Haverford“, für die sie ein Ticket besaß, nicht genügend Kohlen gebunkert hatte (die Dampfer benötigten Kohlen für den Antrieb der Dampfmaschine). Annie buchte um auf die Titanic. Für die „Haverford“ hatte sie noch ein Billet für die erste Klasse gehabt. Auf der Titanic war sie nur Fahrgast für die zweite Klasse.
Geburtstagsfeier an Deck
Am 12. Aprill feierte Annie Funk auf der Titanic ihren 38. Geburtstag. An Bord waren auch mehrere amerikanische Missionars-Familien, die aus Asien zurück kamen, wahrscheinlich hat sie mit ihnen gemeinsam die Geburtstags-Torte angeschnitten. Wir wssen, das Annie am Sonntag, 14. April, mit diesen Christen gemeinsam einen kleinen Gottesdienst feierte. Im Dining Romm sangen sie am Abend. Ungefähr um 22.30 Uhr ging jeder in seine Kajüte. Annie lag schon im Bett, als sie durch einen Rums aufwachte. Weil es dann ruhig weiter ging, schloss sie ihre Augen, um weiter zu schlafen. Dann bemerkte sie, dass es auf dem Schiff immer unruhiger wurde. Sie stieg aus dem Bett, um zu sehen was los war. Zusammenstoß mit einem Eisberg, erfuhr sie.
Annie ließ eine Frau mit Kindern den Vortritt
Das größte Schiff der Welt, das als unsinkbar galt, versank allmählich in den Fluten. Annie stellte sich auf dem Bootsdeck in die Reihe, um ins Rettungsboot zu klettern. Als sie das Boot vor sich hatte, kam eine verzweifelte Mutter mit ihren beiden Kindern angelaufen. Annie ließ den drei verzweifelten Menschen den Vortritt – und damit vergab sie auch den letzten Platz im Boot. Ob dies genau so passiert ist, können wir nicht belegen, aber so wurde es später erzählt. Und Annies Freunde meinten nachher: „Das passt zu Annie.“ Was anschließend mit Annie war, können wir uns ausmalen. Annie blieb verschwunden. Die Tragik will, dass in der zweiten Klasse die meisten Frauen gerettet wurden. Annie leider nicht. Als die erste Passagierliste mit dem Namen Annie Funk veröffentlicht wurde, waren die Familienangehörigen und Freunde verwirrt, dass der Name Annie Funk auf der Liste stand. Sie wollten es nicht glauben, weil Annie, wie wir wissen, mit einem anderen Dampfer kommen wollte. Aber auf dem Papier stand es schwarz auf weiß. Zwei Wochen später fand die Beerdigung statt. Annies Mutter war auch dabei. Sie hatte die Krankheit überwunden. Aber zehn Monate später starb sie dann doch.
Mehr als ein Denkmal
An Annie erinnert ein Denkmal auf dem Friedhof von Bally. Die Schule, die Annie Funk in Indien gegründet hat, wurde in Annie Funk Memorial School umbenannt. Auf einer Tafel steht nun unter anderem: Ihr Leben stand ganz im Geiste ihres Meisters – zu dienen, und nicht, um sich bedienen zu lassen. Die Filmmacherin Ruth Jay hat einen Film über Annie Funk gedreht.
Autor: Horst Martens
Bild: Professor Willy Stöwer (für die „Gartenlaube“)
Quellen:
Berksmont News, The Bally community remembers one of its own on the Titanic, 13. April 2012.
On ‘Titanic’ centennial, missionary’s life remembered
By Sheldon C. Good Mennonite World Review, 2. April 2012
Annie Clemmer Funk, in: Mennonite Encyclopedia, Band V, S. 891