Ein Mennonit als Staatschef – Abstimmung machte Chancen zunichte
Der erste Mennonit wird Staatschef – diese Schlagzeile hätte bei den nächsten Wahlen in Paraguay am 30. April 2023 Realität werden können. Doch Pustekuchen – diese Illusion hat sich zerschlagen. Arnoldo Wiens, ein paraguayischer Politiker mit plautdietsch-mennonitischem Hintergrund, wollte Landespräsident Paraguays werden. Bei den internen Wahlen der konservativen Colorado-Partei siegte jedoch der Konkurrent mit großem Abstand.
Santiago Peña, politischer Ziehsohn des Ex-Präsidenten Cartes, heimste 51,70 Prozent der Stimmen ein. Dahinter folgte Arnoldo Wiens mit 43,79 Prozent. Die Colorado-Partei (ANR) ist durch die Bewegungen Fuerza Republicana und Honor Colorado gespalten. Die beiden Flügel werden vom aktuellen Präsidenten Mario Abdo Benítez bzw. seinem Vorgänger Horacio Cartes angeführt.
Sieg trotz Korruptionsvorwürfe der USA
Im Juli 2022 setzte die Regierung der Vereinigten Staaten den ehemaligen Präsidenten Horacio Cartes auf die Liste der Personen, die als “besonders korrupt” gelten. Gegen den Führer von Honor Colorado wurde ein Einreiseverbot erlassen. Cartes wird schon seit vielen Jahren Drogenhandel und Schmuggel vorgeworfen. Er habe seine Präsidentschaft genutzt, um „seine korrupten Aktivitäten fortzusetzen, einschließlich seiner Verbindungen zu terroristischen Organisationen und anderen von den USA sanktionierten Organisationen”, heißt es in der Erklärung des US-Außenministeriums. Aber auch der paraguayische Vizepräsident und Anführer von Fuerza Republicana, Hugo Velázquez, wurde von der US-Botschaft als “signifikant korrupt” erklärt, weshalb er von der Kandidatur und seinem politischen Amt zurücktrat. Darauf setzte sich Arnoldo Wiens an die Spitze der Bewegung. Wiens war zuvor Minister für öffentliche Bauten im Kabinett Abdo Benítez. Vor allem im Wegebau konnte er gute Leistungen vorweisen.
Dreckiger Kandidaten-Wahlkampf
Im nun folgenden Kandidaten-Wettbewerb bewarfen sich beide Flügel mit Dreck. Obwohl auch Wiens Fehler vorgeworfen wurden, konnte er bis zuletzt eine weiße Weste vorweisen. Deshalb trauten ihm viele Paraguayer die Stimmenmehrheit zu. Doch den Mitgliedern der Colorado-Partei scheinen Korruptionsvorwürfe wenig zu interessieren. Zahlreiche Mennoniten hofften auf einen Präsidenten, der aus ihren Reihen kommt. Sie trauten Wiens zu, dass er die wirtschaftliche Situation auf Vordermann bringt. Aber immer wieder war aus dem Chaco auch dieses Argument zu hören: „Die Bevölkerung wählt keinen Präsidenten, der mennonitischer Herkunft ist.“ In Paraguay treten neben den Colorados auch ein Parteien-Verbund sowie weitere kleine Parteien an. Ihnen wird der Wahlsieg aber nicht zugetraut.
Mennoniten und Politik
Mennoniten und Politik – geht das? Die Klischees stimmen schon lange nicht mehr. Mit Landespolitik wollten die Mennoniten zwar jahrhundertelang nichts mehr zu tun haben. Doch die Einstellungen haben sich geändert. In kanadischen Kabinetten sind schon seit vielen Jahren Mennoniten Minister. Mennonitische Gouverneure und Abgeordnete bestimmen auch in Paraguay schon lange die Landespolitik mit. Und in Deutschland? Peinlicherweise ließ sich der Publizist Max Otte, ein Mitglied der Mennoniten-Brüdergemeinde, von der rechtslastigen AFD als Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten im Februar 2022 aufstellen. Er hatte keine Chancen.
Der paraguayische Chaco wurde bis in die 80-er Jahre militärisch verwaltet und die Mennoniten regierten sich selbst. Und wenn sie mal Probleme hatten, wandten sie sich an den Diktator persönlich. Nach dem Sturz Stroessners setzte eine Demokratisierung ein. Mennonitische Gouverneure gaben im Chaco den Ton an, mennonitische Abgeordnete vertraten die Chaco-Bevölkerung im Parlament. Aber einen mennonitischen Präsidenten gab es noch nie.
Ein TV-Moderator wird zum Star
Arnoldo Wiens ist ein Sohn der Missionare Ernst und Else Wiens. Er wuchs in einem nicht-mennonitischen Ort in Ostparaguay auf, weshalb er ausgezeichnet Spanisch spricht. Die Familie Wiens zog später in den Chaco nach Filadelfia, wo Arnoldo die Sekundarschule abschloss. Danach studierte er in Buenos Aires Theologie. Er heiratete Veronika Wiens, mit der er zusammen studiert hatte. Weitere Stationen in seinem Leben: Pastor in einem Armenviertel in Buenos Aires, Dozententätigkeit in den mennonitischen Bibelschulen Cemta und IBA, Doktorarbeit in Buenos Aires. Das Ehepaar kehrte zurück nach Paraguay und erhielt von der Asuncioner Mennoniten-Brüdergemeinde eine Anstellung als Direktor von „Obedira“, einem christlichen Radiosender. Dann vollzog sich Folgenschweres: Die Hauptstadt-Mennoniten stiegen zusammen mit Wiens in die Fernsehwelt ein. Wiens wurde Moderator einer halbstündigen Sendung bei „Red Guaraní“. In einem Mail-Interview für Plautdietsch Frind im Jahre 2013 schilderte Wiens seinen Aufstieg: „In dem Programm zeigten wir das Positive vom Land. Wir interviewten Politiker, Zivile, Militärs. In allem versuchten wir, die christlichen Werte praktisch zu zeigen. Nach einem Monat bot man uns schon eine Stunde an und nach einiger Zeit sogar den ganzen Kanal. Unsere Art zu arbeiten gefiel dem Eigentümer, und weil der Kanal insolvent wurde, bot man uns auch an, die Verwaltung zu übernehmen.“
Brüdergemeinde-Fernsehen ganz vorne
So schnell wird man in Paraguay Fernsehdirektor. Über Wiens stand nur das Komitee der Asuncioner Brüdergemeinde – und höchstens Gott. Sein Programm „Siglo a Siglo“ war das erfolgreichste im Land, weil er nicht von einem bequemen Sessel aus der Hauptstadt moderierte, sondern ins Inland reiste und die einfachen Menschen so sprechen ließ, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. Red Guaraní, der „Kanal für die Familie“, wuchs stark, hatte bald die meisten Zuschauer. Weil Wiens so erfolgreich war, erhielt er auch Angebote zum Einstieg in die Politik. Die Brüdergemeinde machte anfängliche Probleme, aber dann regelte sich das.
Damals – 2013 – arbeitete Wiens mit dem späteren Präsidenten Cartes zusammen, den er im Interview in höchsten Tönen lobte, obwohl ausländische Geheimdienste ihm Schmuggel und Drogenhandel vorwarfen. Die Beziehung zwischen den beiden Spitzenpolitikern ist merklich abgekühlt. Cartes gewann aktuell den Vorsitz in der Colorado-Partei, den Posten als Vize-Vorsitzender lehnte Arnoldo Wiens ab.
Was wird jetzt aus Wiens?
Was wird jetzt aus Wiens? Ein sozialer Abstieg steht nicht bevor. Paraguays noch regierender Präsident Mario Abdo Benítez ernannte Arnoldo Wiens jüngst zum Mitglied des Verwaltungsrates des Wasserkraftwerkes Itaipú. Wenn er sich in einer der Kolonien niederlässt, könnte er irgendwann auch noch mal Oberschulze werden.
Horst Martens