Fr. Dez 20th, 2024

Das schwere Schicksal der Agnes Fast hat ein gutes Ende

Titel des Buches "Gott, wo ist meine Familie?" (Auszug).

In den 1940er Jahren ging die Gesellschaft der Kolonie Fernheim nicht gerade zimperlich mit der Familie Fast um. Agnes Fast de Dueck beschreibt in ihrer beeindruckenden, 110 Seiten langen Biografie, wie sie von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter unter Vorurteilen, Intoleranz, Verrohung und Vernachlässigung litt. Die Biografie verfasste Elsie Reimer aus Loma Plata mit Unterstützung der Protagonistin Agnes Dueck.

Neues Buch: “Gott, wo ist meine Familie?” – Die Lebensgeschichte von Agnes Fast de Dueck

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In den Anfangsjahren der Kolonie Fernheim schrieb ein Chorleiter einer seiner Sängerinnen einen Liebesbrief und heftete ihn an das Tor der Angebeteten. Wenig später fand David Fast, der Vater von Agnes, den Brief auf dem Boden, hob ihn auf und befestigte ihn wieder am Zaun. Dieser Vorfall wurde beobachtet, und so begann der Leidensweg der Familie Fast. Viele Dorfbewohner, darunter der Gemeindeälteste, waren überzeugt, dass David Fast der Übeltäter war. Er sollte gestehen, sonst drohten ihm 25 Hiebe mit einem nassen Seil. Ein Termin für die Bestrafung war bereits angesetzt.

Flucht aus der Kolonie

Bevor es jedoch zur Auspeitschung kam, floh David Fast mit seiner Familie. Es muss 1935 gewesen sein, denn auf ihrem Fluchtweg begegneten sie Soldaten, die das Ende des Chacokrieges feierten. Sie siedelten in der Nähe der Kolonie Friesland, jedoch nicht unter Mennoniten, sondern unter Einheimischen. Über viele Jahre lebten sie am Existenzminimum. Der Bürgerkrieg 1947 verschlimmerte ihre Lage. Die ebenfalls armen und vom Krieg verrohten Dorfbewohner stahlen ihnen alles, was nicht niet- und nagelfest war, buchstäblich unter den Füßen weg – die primitive Schmiede, die Pferde, sogar die Hühner.

Hilfe durch Stroessner

Die heranwachsende Lena, das älteste Kind, wurde von einem Offizier entführt. Doch die Soldaten des nahen Militärlagers bemerkten die Schandtat und befreiten das Mädchen. Den Fasts war dies vor allem einem anderen Offizier des Postens zu verdanken, dem jungen Stroessner, der später Landespräsident wurde. Sie kannten ihn ein wenig, da er Deutsch mit ihnen gesprochen hatte.

In Asunción spricht Agnes nur Spanisch

Wohlhabende Menschen in der Nähe sahen die Not der überforderten Eltern, die Trost im Alkohol suchten. Sie erklärten sich bereit, ein Mädchen bei sich aufzunehmen und für ihr Wohl zu sorgen. Auch das Schwesterchen Anna kam in eine Pflegefamilie. Die neunjährige Agnes wurde von der Familie Peluffo in Asunción aufgenommen, wo sie gut behandelt wurde und ein gutes Leben führte. Dies war anfangs eine schwere Prüfung, da sie von ihren Geschwistern und Eltern getrennt war und kein Wort Spanisch sprach. In den neun Jahren ihres Aufenthalts lernte sie Spanisch und vergaß komplett Plautdietsch, besuchte zum ersten Mal die Schule, absolvierte einen Schneiderkurs, lernte tanzen und wurde Katholikin.

Agnes‘ Rückkehr zur Familie

Dann entschied die Pflegefamilie, dass es an der Zeit sei, dass Agnes zu ihrer Familie zurückkehrt. Diese lebte inzwischen auf Initiative des neuen Oberschulzen Heinrich Dürksen wieder in Fernheim, wovon Agnes nichts wusste. Sie hatte nie Kontakt zu ihren Eltern gehabt. Die 18-Jährige verständigte sich in der für sie unbekannten Siedlung zunächst nur auf Spanisch und lernte allmählich wieder Plautdietsch. Sie war glücklich, wieder zu Hause zu sein, aber es gab auch eine dunkle Seite in ihrer Familie: “Sie beobachtete unkontrollierten Alkoholkonsum und unmoralisches Verhalten.”

Angriff auf die große Liebe

In den Kolonien schätzte man ihre Spanischkenntnisse, da kaum jemand die Landessprache beherrschte. So wurde sie Hotelangestellte in Loma Plata und bald darauf vom Hotel in Filadelfia abgeworben. Schon in Loma Plata hatte sie sich in den Laboranten und Radiologen Dueck verliebt, der im selben Hotel wohnte. Ihr vorheriger Freund, ein Fernheimer, und dessen Kumpane schikanierten sie, wie es oft üblich war, wenn Jugendliche einen Freund oder eine Freundin aus einem anderen Dorf oder, noch schlimmer, einer anderen Kolonie hatten. “Ein voll mit aufgeregten Jugendlichen beladener Pferdewagen kam ins Zentrum (Loma Plata) gefahren, in angetrunkenem Zustand machten sie laut singend ihre Anwesenheit kund. … Einmal schlugen sie den Nachtwächter beim Industriewerk nieder.” Auch Peter W. Dueck im Hotel wurde attackiert – mit einem Knüppel, der mit einem Nagel versehen war. Peter konnte den ersten Angriff abwehren. Dann hatte er Glück, dass ein spanischsprachiger Hotelgast zu Hilfe kam und seine Pistole zückte. Die Querulanten wurden in Loma Plata nie mehr gesehen.

Agnes gründet eine Familie und wird Unternehmerin

Agnes heiratete Peter W. Dueck und gründete mit ihm eine Familie. Dann wird sie Unternehmerin: Im Selbststudium und in einem Fernstudium lernte sie Fotografie und Fotolaborarbeit. In Menno fotografierte sie zahlreiche Einzelpersonen und Familien in ihrem Studio, das mit einem breitformatigen farbigen Hintergrund ausgestattet war. Es folgte ein langes, erfülltes, wenn auch nicht immer problemloses Leben. Kurz vor Drucklegung des Buches wohnt die 83-Jährige allein in ihrem großen Haus, da ihr Mann schon gestorben ist. Eine Enkelin kommt fast täglich vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

Grauenvolles und Mut machendes

Dieser Beitrag stellt nur die Rahmenhandlung grob dar. Das Buch enthält noch viele weitere, teils grauenvolle Ereignisse, aber auch Mut machende Geschehnisse. So wird das Ehepaar fast zum Schluss noch von den bösen Vorwürfen entlastet, die zum Exodus aus der Kolonie führten. Eine Biografie mit Happy End?

Das Buch ist im Buchhandel in den Chaco-Kolonien erhältlich.

Horst Martens

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