Schmugglercity, El Dorado des Schoppings, Geldwäschezentrum, Zufluchtsort für Radikale, Basisstation für eine Fahrt zu den Iguazú-Fällen – Ciudad del Este ist vieles, aber keine bürgerliche Stadt.
Kalter Regen peitscht auf kalte Betonfassaden. Hunderte Rinnsale plätschern von vorstehenden Rolleaus, Vordächern und Vorsprüngen. In Ciudad del Este ist Herbst. Um 18 Uhr ist bei diesem Wetter schon tiefschwarze Nacht. Straßenlaternen und Werbeschilder streuen kaltes Licht. Bei diesen ungastlichen Bedingungen wirkt die berühmt-berüchtigte Schmugglerstadt, das Geldwäschezentrum, die Drehscheibe für Waffenschiebereien wie der schäbige Hinterhof einer herunter gekommenen Dritte-Welt-Metropole.
Reportage von Horst Martens aus dem Jahr 2009 / Fotos: Thomas Schmidt
Kaum zu glauben, dass internationale Brasilien-Touristen diese Stadt auf dem Plan haben. Nach Rio de Janeiro und dem Amazonas steht unweigerliche das wilde Länderdreieck zwischen Brasilien, Paraguay und Argentinien auf der Reiseroute. Zuerst die gigantische Schönheit der Yguazúfälle bestaunen und dann auch mal was Unstatthaftes sehen, nur mal einen Abstecher nach drüben machen, über die Puente de la Amistad, die „Freundschaftsbrücke“, die den Paraná überquert, und in der Stadt der Gesetzlosen herein schnuppern.
Für Touristen zählt das Gefühl, geschmuggelte und damit sehr günstige Waren zu kaufen, das Gefühl, das kriminelle Wirken von Mafia, Hisbollah und korruptem paraguayischen Zoll hautnah mitzuerleben. Die globalen Medien haben die Super-Location verinnerlicht und veräußerlicht. Gisbert Haefs „Das Kichern des Generals“ lässt seine Ganoven in Ciudad del Este lieben, schießen und sterben. Hollywood hat die aufregende Kulisse ebenfalls geschluckt: In der Navy-CIS-Folge „Blau wie Kobalt“ ist ein amerikanischer Undercover-Agent in zweifelhafte Angelegenheiten im Dreiländereck verstrickt, während in der Kinoversion von „Miami Vice“ Ciudad del Este ebenfalls Schauplatz von Waffenhandel und Drogengeschäften ist.
Wo Hirschgeweihe an der Wand hängen …
Doch um 18.30 Uhr vermittelt sich uns dieses Bild einer weltberühmten Schieber-Drehscheibe noch nicht. Der Regen hört immer noch nicht auf. „Wo bitte geht’s ins Zentrum?“ fragen wir Passanten. „Im Zentrum, was soll da sein?“ fragen sie zurück, mal freundlich, mal eher lustlos. Und dann schicken sie uns um die nächste Ecke, wo es genauso wenig nach Großstadt aussieht. Ein freundlicher Herr will uns sogar schützen: „Geht zurück, das Zentrum von Ciudad del Este ist gefährlich, kriminell und um diese Zeit sehr ungesund.“ Schließlich geben wir auf und suchen unsere Herberge auf. „Hotel Austria“ – da kann man sich als Deutscher richtig gemütlich fühlen, vor allem in der behaglichen Restaurant-Lobby, wo Hirschgeweihe von der Wand grüßen, das Kaminfeuer behaglich flackert und Hausherrin Renate uns per Handschlag begrüßt.
Nachts können wir kaum ein Auge zutun, weil der Regen so laut auf die Dächer prasselt. Nach Mitternacht lässt der Schauer etwas nach, es kühlt ab und Nebelschwaden ziehen hoch. Es ist die Zeit der Schmuggler von Ciudad del Este. Dann stecken waghalsige Männer ihre Pistolen in die Halfter, steigen ins beladene Ruderboot und lassen sie sich ein Stück flussabwärts treiben, um bei günstigen Bedingungen mit ein paar kräftigen Ruderschlägen Boot und Ware ans andere Ufer zu bringen. Ein Schuss! Und noch einer! Mist, bis jetzt ist doch immer alles gut gegangen. Sie sind immer ungestört im brasilianischen Foz do Iguazu gelandet, haben ihre Boote entladen und sind zurück nach Paraguay gerudert.
Aber an diesem Tag ist alles anders. Die Nebelschwaden verziehen sich. Und am Ufer des Rio Paraná brechen sich die Wellen an einer Leiche, die Juan hieß, als sie noch lebte. Oder Antonio. Vielleicht auch Peter.
Ein Ort für Schattengestalten
Alles nur ein Traum. Am Abend vorher habe ich eine Reportage in einem alten Focus-Heft gelesen, die mich bis in meine Träume verfolgt hat. Darin heißt es, Ciudad del Este sei „ein Ort wie geschaffen für Schattengestalten: Mafiagruppen aus Asien und Südamerika, Terroristen, Drogenhändler, Waffenschieber, Geldwäscher, Kriegsverbrecher“. Ich trete auf die gut ausgebaute Veranda. Von hier aus hat man einen phantastischen Blick bis hin zum hell erleuchteten Staudamm „Itaipú“, mit dessen Bau der Boom der Stadt begann. Sogleich erkenne ich auch den Grund für das dreifach verstärkte Prasselgeräusch, die Veranda ist überdacht mit einer billigen Wellblechimitation aus Plastik, die das Plätschern der Tropfen multipliziert.
Nach dem Frühstück malträtiere ich mein Handy, indem ich die Nummern meiner Kontaktleute eingebe. Fermín Jara, der Lokaljournalist von ABC Color, antwortet nicht, obwohl uns Ressortschef Alfredo Cantero von der Zentralredaktion in Asunción seine Handy-Nummer gegeben hat. Aber vielleicht will Jara einfach nicht mit unbekannten Leuten sprechen. Wer hier an vorderster Front arbeitet, muss immer wieder mit Behinderungen rechnen. So hatte Jara vor ein paar Jahren auch Probleme mit der libanesischen Familie Bakarat. Ordnungs-Beamte der Stadt kontrollierten mehrere Geschäfte in der Galerie „Page“. Etwa zehn Geschäfte wurden geschlossen, unter ihnen auch das „Zena International“, das Mohammad Bakarat gehörte. Zwei Begleiter des Besitzers bedrohten Jara und seinen Fotografen. Später griff der Anwalt des Landeninhabers Jara mit Fußtritten an.
Wichtige Namen aus dem Telefonbuch
Auch der Herr Staatsanwalt, der sich mir als Ansprechpartner zur Verfügung stellen wollte, meldet sich zunächst nicht. Vielleicht scheut er sich, weil er vor kurzem Neutralität missen ließ, als er mit dubiosen Politikern beim Abendessen in einem Restaurant erwischt wurde. Später meldet sich der Staatsanwalt noch, aber da ist er schon auf dem Weg nach Asunción. Jetzt, wo er uns entkommen ist, nennt er uns großzügig Namen, die man aber auch leicht im lokalen Telefonbuch findet. Einer von ihnen heißt Charif Hammoud und ist Besitzer des größten Einkaufshauses vor Ort.
Heute finden wir das Centro ganz leicht. Was uns gestern wie ein lethargisches Kaff vorkam, präsentiert sich nun als geschäftig-chaotische Metropole. Heute ist Samstag, brasilianischer Bustag. Die Touris nehmen eine lange, stressige Fahrt in Kauf, um einen Vormittag lang in Ciudad billig einzukaufen. Parfum, HiFi, Multimedia, bunte Decken, einfach alles. Dann geht es wieder zurück. Geschlafen wird im Bus, das ist billiger.
Zwischen Original und Replik
An monströsen Hochhäusern, von deren Fassaden die Farbe abblättern, reizen gigantische Werbeplakate den Konsumnerv. Gleich daneben preisen Straßenhändler in schäbigen Buden ihre Billigware an. High-Tech, chromglitzernde Auslagen und schicke Mädchen auf der einen Seite und gleich daneben Kartons, Papierfetzen, tote Hunde, zerquetschtes Gemüse, kurz, der modernde Abfall der Konsumgesellschaft. Glanz neben Fäule, Gloria neben Säuen. Da es noch regnet, sind Regenfolien der große Renner.
Alles kommt gedoppelt daher: als Original und als Replik. Mein Fotografenkollege Thomas beschließt, eine Tag/Heuer zu kaufen. Modell Monaco. Im eleganten China-House kommt die Frage nach der Replik einer Tag/Heuer-Uhr, Modell Monaco, nicht gut an: Das künstliche Lächeln der Verkäuferinnen gefriert ein, wir sind für sie nur noch Luft. Viel zu viele Verkäuferinnen stehen vor viel zu viel glitzernden Auslagen. Je höher die Etage, desto kürzer die Röcke. Als wir aus dem „China“ herauskommen, bedrängen uns die Straßenhändler: Rasierapparat, Musik-CDs, Adidas-Socken? Und als wir uns immer noch nicht interessiert zeigen, kommen sie mit ihrem letzten Angebot: Viagra?
Viele Verkäuferinnen, wenig Käufer
Schräg gegenüber ragt das „Mona Lisa“ zwölf Stockwerke in die Höhe. Hier wagen wir unsere Fragen nach der Tag/Heuer-Replik nicht anzubringen. Parfüms, Schmuck, Uhren, Sportkleidung. Prunkvolle Einzelstücke werden auf großen Podesten dargestellt. So viel Raum, so viel Luxus. So viele Verkäuferinnen, so wenig Käufer. Der Inhaber des Luxustempels ist Charif Hammoud, der im obersten Stockwerk residiert. Der Staatsanwalt hatte uns ihn empfohlen. Hammoud ist Präsident der Händlervereinigung und gibt sich seriös und wettert gegen die Schmuggler und anderen Ganoven. Man fragt sich natürlich, ob er nicht selbst einer sein könnte bei soviel Pomp und so wenig Kunden.
Hammoud ist Libanese, wie 30.000 andere Bewohner dieses Dreiländerecks. Sie kommen fast alle aus der gleichen Gegend, aus dem Bekaa-Tal. Und seit vielen Jahren müssen sie mit Verdächtigungen, mit Vermutungen leben. Ich denke an ein Erlebnis aus dem Jahr 1994 zurück, als ich mit meiner kränklichen Mutter Zwischenstation auf dem Flughafen Ezeiza von Buenos Aires machte. Das Flugzeug bewegte sich schon zu seiner Startposition, um zum Flug nach Asunción abzuheben, als es plötzlich auf Geheiß des Towers stoppte. Nach einer halben Stunde des Wartens in der Kabine mussten alle Passagiere aussteigen. Stundenlang harrten wir danach im Transitraum aus, um schließlich zum Schluss noch in Buenos Aires zu übernachten, was mir besonders für meine kranke Mutter leid tat. Was war geschehen? Der Flughafen war kurzfristig gesperrt worden, weil Terroristen einen Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum in Buenos Aires verübt hatten, der 85 Menschen das Leben kostete und 300 Menschen verletzte. Heute gilt als sicher, das die Hisbollah hinter dem Attentat steckt und der Sprengstoff sowie die Attentäter über das Dreiländereck nach Buenos Aires einsickerten.
Jagd auf Terroristen
Die Jagd auf die arabischen Terroristen begann, die Libanesen von Ciudad del und Foz do Iguazu auf der anderen Seite des Paraná beschwerten sich über die Hexenjagd, die noch weitaus hysterischere Züge annahm, als 2001 das Welt Trade Center von Terroristen umgemäht wurde. Al Quaida betreibe in Ciudad del Este eine Filiale, lautete die Beschuldigung der CIA. Die Stadt sei seit geraumer Zeit ein Refugium für Schieber und Fälscher, die verschiedene islamistische Gruppierungen finanzierten. Den endgültigen Beweis dafür haben sie bisher nicht erbracht. Der Zeitung « La Nación » sagte Hammoud, „dass es weder Terroristen noch Sympatisanten hier gibt. Wenn doch, hätte man sie doch schon gefunden, denn die USA hat doch den besten Geheimdienst der Welt.“
Geld für die Hisbollah
Vor einigen Jahren wurden bei einer Durchsuchung des Ladens von Barakat Aufnahmen des Hisbollah-Generalsekretärs Nasrallah sowie Dokumente gefunden, die bezeugen sollten, dass er der Organisation mehrmals Summen von 25.000 bis 50.000 Dollar überwiesen habe. Barakat floh aus Paraguay und kam anscheinend nach Syrien. Später wurde er in Paraguay wegen Steuerhinterziehung verhaftet und verbüßte eine Gefängnisstrafe – Al Capone lässt grüßen.
Der Korrespondent des Magazins New Yorker Jeffrey Goldberg berichtete im Oktober 2002, dass er in der Stadt Hörkassetten mit Reden Nasrallahs gekauft und ein Mann ihm eine Kalaschnikow für 370 Dollar angeboten hab. Goldberg schreibt, dass er von Sicherheitsstellen in Paraguay erfahren habe, dass es in diesem Dreieck Trainingslager für Hisbollah-Kämpfer gäbe. Natürlich gibt es Sympathisanten für die arabische Sache, natürlich kann man hier alles kriegen. Aber Ausbildungsstätten für Terroristen, da gingen mit dem Journalisten die Gäule durch.
Wir scheinen Stadtgespräch zu sein. Überall wissen sie schon, dass wir eine Uhr und Fotoobjektive kaufen wollen. Strassenverkäufer Manuel kann weiterhelfen. Die Tag/Heuer liegt allerdings nicht in der Auslage. Hinten, irgendwo versteckt, greift er in einen zerschlissenen Karton und zaubert eine Replik des schweizerischen Meisterherstellers hervor. Von den meisten Uhren gibt es drei Varianten: das schlechte Falsifikat für zehn Dollar, das gute Falsifikat für 100 bis 150 Dollar – und das Original für etwa 5.000 Dollar. Als die Kunden an der präsentierten Variante rummäkeln, öffnet der Verkäufer ein Alu-Kofferchen – nimmt eine Lage heraus, dann die zweite und wird schließlich in der dritten Ebene fündig. Mit Recht kann Manuel behaupten: Irgendwo habe ich alles.
Jeder verkauft alles
Seit Mitte der 90er schwappten in großen Wellen die Chinesen herein. Und mit den asiatischen Neubürgern brach mehr Kriminalität hinein. Die chinesische Mafia kennt keine Gnade. Branchen gibt es kaum. Jeder verkauft alles. Wenn ein chinesischer Großhändler mit einer Partie Handys auftaucht, muss ihm jeder Landsmann eine Marge abkaufen. Wenn nicht, können die Konsequenzen blutig sein. Ciudad del Este ist Multikulti. Im Zusammenleben zwischen den Minderheiten gibt es kaum Probleme. Wenn Schüsse fallen und Menschen drauf gehen, werden Rechnungen innerhalb einer Ethnie beglichen.
In einem Elektronik-Laden suche ich nach einem Mini-Laptop. Ich wolle das Gerät für meine Frau, sage ich. Der Verkäufer präsentiert einen rosafarbenen Kleinrechner. Ich kann mir vorstellen, wie der Mann tickt. Als er den Preis nennt, hat er verloren. Ich wehre mit meinen Handflächen ab, denn der Verkäufer will mir das Gerät mit Gewalt aufdrängen. Dann schickt er mir eine Schimpfkanonade hinterher. Anscheinend fühlt er sich persönlich angegriffen, weil ich behauptet habe, in Deutschland bekäme ich den Computer billiger und könne ihn außerdem mit deutschem Betriebssystem nutzen.
Der Regen hat aufgehört. Es wird kalt. Die bunten Decken gehen weg wie warme Semmeln. Gestern waren feuchtigkeitsabweisende Plastikumhänge der Verkaufshit.
Die Herkunft der Falsifikate
Die große Mehrheit der Falsifikate stammt aus China sowie Singapur, Korea, Malaysia, Thailand, Indien und Indonesien. In Hong Kong werden die Piraterieprodukte in große Container geladen und nach Montevideo (Uruguay), Santos und und Paranaguá verschifft. Von dort aus gelangt die Fracht zu den Importeuren in Paraguay, die sie auf dem Markt in Ciudad del Este schütten, wo sie an die Touristen verscherbelt werden. Natürlich gibt es viele andere Routen. Privatflugplätze zum Beispiel. Entdeckt die Polizei eine Landepiste, schiebt fünf Kilometer weiter ein Bulldozer eine neue Landebahn auf. Die Ordnungshüter haben es schwer in diesem Drei-Grenzen-Gebiet, in dem Argentinien, Brasilien und Paraguay aufeinander stoßen.
Die paraguayische Gesetzgebung arbeitet den Fälschern in die Hände. Jeder Staatsbürger kann sich Marken registrieren lassen, die noch nicht registriert sind. Wäre Mercedes Benz nicht im paraguayischen Markenregister aufgeführt, müsste der Autokonzern um seine Rechte kämpfen. Ein ehemaliger paraguayischer Handels- und Industrieminister besaß zum Beispiel die Namensrechte für Aspirin. Bayer musste viel Geld abdrücken, was dem deutschen Konzern nicht weh tat, aber dem unfairen Kommerz Tor und Tür öffnet.
Der Handel mit nachgemachten und geschmuggelten Waren ist dem brasilianischen Staat, dem auf diese Weise hohe Steuereinnahmen verloren gehen, seit Langem ein Dorn im Auge. Trotz schärferer Kontrollen in den letzten Jahren werden immer wieder Wege gefunden, die Gesetze zu umgehen.
Sackträger und Motorrad-Taxis
Wer am späten Nachmittag die Brücke überqueren will, gerät unweigerlich in einen Stau. Da fallen dem wartenden Autofahrer die zahlreichen Menschen auf, die, wie einst die Sklaven einer Kolonialexpedition, Säcke und Pakete auf dem Rücken tragen und in Richtung Freundschaftsbrücke gehen. Es sind die Sacoleiros, was auf brasilianisch Sackträger heißt. Sie kaufen die nachgeahmten Waren in Ciudad del Este und bringen sie nach Argentinien. Eine gewisse Menge dürfen sie seit es den Mercosur gibt, den freien Markt, sogar bei jedem Übergang mit sich führen. Aber natürlich übertreiben die Sacoleiros und schleppen viel mehr als sie dürfen. Wer schneller sein will als die im Stau stehenden Autos, mietet sich übrigens ein „Mototaxi“, ein Motorrad-Taxi, das sich blitzschnell, verwegen und mit halsbrecherischen Slalom einen Weg durch den stehenden Verkehr bahnt. Auf diese Weise werden schnell viele kleine Geschäfte in kurzer Zeit gemacht.
Der Druck durch die USA und die Demokratisierung haben Ciudad del Este bürgerlicher werden lassen. Und trotzdem bleibt das Dreiländereck ein heißes Pflaster. Die Verbrechernetze im Land verfügen über sehr enge Beziehungen mit korrupten Beamten, sagt der Kriminalitäts-, Terrorismus- und Nahost-Experte Horacio Calderon. Paraguay bleibe ein regionales Zentrum verbrecherischer Aktivitäten.
Mafia international
Internationale Mafia-Organisationen aller Herren Länder haben ihre Verbindungen zum Dreiländereck. Kriminelle russische Verbindungen, vor allem aus Tschetschenien, versuchen ihren Einfluss zu mehren. Mitglieder von russischen „Familien“ wurden hier gesichtet. Auch kolumbianische Drogenhändler scheinen sich hier sicher zu fühlen.
Inmitten des Trubels entdecken wir das Café Bovolo, dem sich der Duft von Biskuit und Capuccino ausbreitet. Der Backwarenladen erscheint wie aus einer anderen Welt. Er passt zu Wien, zu München oder zu Linz, aber nicht in diese schreckliche Stadt. Aber natürlich ist es auch nur eine Replik. Die Besitzerin ist Koreanerin, die in Paraguay aufgewachsen ist und sich in einer Konditorei in Venedig (!) zu ihrem Café inspirieren ließ.
Rückzugsorte
Als wir unsere Verwunderung ausdrücken, lächelt die Kaffeehaus-Besitzerin und sagt, ja, es gäbe noch andere Rückzugsorte, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Zum Beispiel der Country Club vor den Toren der Stadt. Ein Wohnparadies, komplett eingezäunt und mit Überwachungskameras bestückt. Selbst am Tor stehen Wachen. Die Familien, die hier wohnen, verfügen gewiss über ein dickes Konto und kriegen kaum was mit vom kriminellen Trubel am Paraná. Ja, sagt die Bóvolo-Chefin, im Country-Club würden auch Koreaner gerne ihren Lebensabend verbringen.
Wir können leider nicht bleiben und wagen uns wieder hinaus ins pralle Leben. Jetzt, am späten Nachmittag packen die ersten Stände ihre Koffer. Und dann geht es sehr schnell. Innerhalb einer Stunde sind die Stände leer. Die Menschenmassen verschwinden, als ob einer ein magisches Zeichen gegeben hätte. Die Hochhäuser werfen lange Schatten, in denen sich Halbwüchsige lümmeln. Nur die Papierfetzen, Kartons, Plastiktütchen, zerquetschen Gemüseabfälle bleiben übrig. Uns wird in dieser Stille unheimlich. Jetzt heißt es, schnell ins „Austria“ zu kommen. Im Hotel gibt es einen „Chopp“, wie hier das Gezapfte genannt wird, in einem Porzelanmass. Und über uns breiten sich schützend die riesigen Äste eines Hirschgeweihs aus.
Schmugglercity, El Dorado des Schoppings, Geldwäschezentrum, Zufluchtsort für Radikale, Basisstation für eine Fahrt zu den Iguazú-Fällen – Ciudad del Este ist vieles, aber keine bürgerliche Stadt.