Schmähkritik im Netz nach abwertender Aussage
Foto: Ausschnitt des Covers zu „Women Talking“
Miriam Töws, kanadische Erfolgsautorin mit mennonitischem Hintergrund, hat sich in einem Interview mit der britischen Ausgabe des „Independent“ zu dem fundamentalen christlichen Wert „Vergebung“ geäußert. Ihre Aussage trat eine breite negative Welle los.
In dem Gespräch mit Helen Brown geht es um Miriam Töws Bücher, unter anderem um „Die Aussprache“, ein Buch, das von Sarah Polley verfilmt und mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Der reale Hintergrund zur fiktiven Handlung befasst sich mit den schrecklichen Vorfällen in einer mennonitischen Siedlung in den Jahren 2007 bis 2009 in Bolivien, bei denen Männer über 100 Frauen mit einem Spray betäubten und vergewaltigten. Toews‘ Roman konzentriert sich auf 48 Stunden, in denen sich die Frauen der Stadt entscheiden müssen, ob sie ihren Angreifern vergeben oder ob sie die Siedlung verlassen und die ewige Verdammnis riskieren.
„Vergebung ist ein religiöses Konstrukt“
Dazu sagt Miriam Töws gegenüber der Interviewerin: „Vergebung ist ein religiöses Konstrukt, ein Mittel, um den Status quo aufrechtzuerhalten. In meiner Gemeinschaft ist Vergebung alles. Aber Vergebung kann Einwilligung sein. Es kann bedeuten, dass sich nichts ändert. Also, was nützt es?“
Dazu sagt Miriam Töws gegenüber der Interviewerin: „Vergebung ist ein religiöses Konstrukt, ein Mittel, um den Status quo aufrechtzuerhalten. In meiner Gemeinschaft ist Vergebung alles. Aber Vergebung kann Einwilligung sein. Es kann bedeuten, dass sich nichts ändert. Also, was nützt es?“
Pure Ablehnung
Die Leser-Reaktion auf diese Aussage war zumeist pure Ablehnung, nur wenig Zustimmung. So postet eine Person: „Vergebung (metanoia) bedeutet aus biblisch-christlicher Sicht nicht nur, sich zu entschuldigen. Es geht darum, seine Meinung und damit sein Verhalten zu ändern. Die Erfahrung des perversen Gebrauchs macht das Richtige nicht ungültig.“ Und eine andere Leserin schreibt: „Wie kommt es, dass wir so verwirrt sind, wenn es um Vergebung geht? Vergebung ist keine Entschuldigung für Verhalten, aber aus irgendeinem Grund wollen wir es immer darauf reduzieren.“
„Waffenduelle im Wildwest-Stil?“
Bei MSN, das den gleichen Artikel veröffentliche, meldeten sich über 400 User zu Wort. Nathan Springhart kleidet seine Kritik in rethorische Fragen: „Also, wenn nicht Vergebung, was schlägt die Autorin als Alternative vor? Auge um Auge? Waffenduelle im Wildwest-Stil als Mittel, um Rechnungen zu begleichen?“ Die Posterin Ela Talaj betonte: „Das ist genau das, was die Bolschewiki über Vergebung zu sagen pflegten.“
Schlüsselerlebnisse Selbstmorde
Miriam Töws ist in Steinbach, einer mennonitischen Kleinstadt in Kanada geboren und aufgewachsen. In ihrem 59-jährigen Leben hatte sie zwei dramatische Ereignisse zu verkraften: Ihr Vater und ihre Schwester nahmen sich das Leben. Mit diesen Vorfällen setzt sie sich in mehreren ihrer Bücher auseinander wie zum Beispiel in „Das gläserne Klavier“ (Selbstmord der Schwester), „Mr T., der Spatz und die Sorgen der Welt: Das Leben meines Vaters“ oder zuletzt in „Fight Night“. In dem 2022 zunächst in englischer Sprache erschienenen „Fight Night“ sagt die Großmutter zum Enkel: „Die Kirche… All diese Männer… Sie haben uns etwas weggenommen. Sie ersetzten Toleranz durch Verurteilung, unser Begehren durch Scham, unsere Gefühle durch Sünde, unsere wilde Freude durch Disziplin, unsere Phantasie durch Regeln, unsere Empathie durch Scheinheiligkeit, Drohungen, Grausamkeit, unsere Neugier durch Isolation, vorsätzliche Ignoranz, Infantilismus, Bestrafung!“ So also hat Miriam Töws ihre mennonitische Gemeinschaft erlebt.
Miriam Toews hat recht!
Gerade in fundamentalistischen Gemeinschaften wird Vergebung besonders leicht instrumentalisiert und für die Interessen weniger missbraucht. Patriarchalische Gemeinschaften, sie sind per se unchristlich, öffnen solchem Missbrauch geradezu Tür und Tor.
Man schaue sich nur in den Freikirchen in Deutschland um, abgesehen von ein paar wenigen, wie übel in denen Missbrauch getrieben wird und zur Verfehlung erklärt wird, was keine Verfehlung ist.
Vergebung ist befreiend, befreiend nur in einer freien Gesellschaft, in der Gewaltfreiheit Ausdruck von Agape ist – eine Kernaussage des Geistes Gottes, auch der Bibel zu entnehmen.